21.05.2021
Kapitel II
Erneut war etwas Zeit vergangen, und noch immer wartete Thorvid darauf, von einem Ritter als Rekrut angenommen zu werden. Die Zeit, die er als Knappe hätte verbringen müssen, war für ihn vorbei, weswegen er vielmehr ein Anwärter für einen Titel war. Es war für den Prinzen seltsam, Befehle von jüngeren Männern anzunehmen, aber da die meisten ihren Ritterstand bereits mit achtzehn erlangt hatten, standen diese Männer über dem Prinzen. Und irgendwie musste Thorvid zugeben, dass das nicht ganz unberechtigt war. Thorvid schmerzte jeder Knochen. Das Training, das er tagtäglich bestreiten musste, war hart. Es unterschied sich grundlegend von den Übungen, die er als Prinz hinter sich gebracht hatte. Während man bei einem Schwertkampf im Schloss irgendwie noch auf Eleganz geachtet hatte, schlugen die Rekruten bei den Rittern teils aufeinander ein wie wildgewordene Argul. Natürlich besaß alles seinen Sinn und Zweck, aber trotzdem waren die jungen Männer getrieben davon, ihr Gegenüber zu Fall zu bringen, kostete es, was es wollte. Hier schenkte sich niemand etwas.
Plötzlich trat Ulrik vor den Prinzen und schaute auf ihn hinunter. Der Hüne verdeckte dabei die Sonne und spendete Thorvid etwas Schatten.
„Beweg dich bitte nicht vom Platz“, flehte Thorvid geradezu und nahm noch einen großen Schluck Wasser aus seinem Lederbeutel.
„Ist das Blaublut schon müde?“, wollte Ulrik wissen, und Thorvid konnte ein Lächeln in der Stimme vernehmen.
Thorvid schüttelte seinen Kopf. „Ich bin Xhar näher als Athan“, erwiderte er und bekam von Ulrik eine helfende Hand gereicht. Thorvid ergriff sie und ließ sich auf die Beine helfen. Beide überblickten dann das Übungsfeld, das von einem Holzzaun eingezäunt war. Der Boden war vom letzten Regen aufgeweicht, die Luft dadurch ungemein schwül, und alle sahen aus wie sich suhlende Schweine. Von Eleganz konnte hier keineswegs die Rede sein.
Beide Rekruten standen schweißnass und dreckig am Rand und waren fertig für diesen Tag. Zumindest mit den Kampfübungen. Ein weiterer Anwärter aus Thorvids Gruppe gesellte sich zu ihnen, der auch besser gelaunt schien als der Prinz. „Zeit für ein Bad“, verlautete Robert und strich sich etwas Schlamm aus seinem weißblonden Haar. Thorvid kam nicht umhin, zu bemerken, dass der junge Mann sich lieber etwas davon in sein Gesicht hätte streichen sollen. Roberts Gesicht war so rot von der Sonne und den Übungen, dass er aussah, als litt er unter hohem Fieber. Aber alle wussten mittlerweile, dass es bei ihm ein alltäglicher Umstand war. Ulriks etwas dunklerer Teint widerstand der Sommersonne wesentlich besser.
Thorvid atmete tief durch und bejahte Roberts Vorschlag. Ein Bad klang gut. Aber bevor es dazu kam, hörte der Prinz die Stimme von Richard über den Platz schallen. Der Paladin rief nach ihm, was Thorvid ein Seufzen entlockte. Begleitet vom Lachen seiner Mitstreiter setzte er sich in Bewegung und ging auf den Paladin in der Ferne zu.
„Wie läuft das Training?“, wollte Richard wissen und grinste spitzbübisch, während Thorvid sich ihm näherte.
Der Prinz warf einen Blick zurück und schaute den alten Mann dann wieder an. „Ich bin mir noch uneins darüber, ob wir trainiert oder umgebracht werden, aber bisher stehe ich noch.“
„Jeder so, wie er es verdient“, erwiderte Richard und zupfte an seinem Schnurrbart herum. Ein musternder Blick wanderte unterdessen über Thorvid. „Ich habe gehört, Ihr sucht immer noch nach einem Ritter, der sich Euer annimmt.“
Thorvid nickte. „Das tue ich.“
„Nun, ich denke, ich könnte das tun. Sofern Ihr einen alten Bewahrer akzeptiert, natürlich.“
Thorvid zog überrascht seine Brauen hoch. Sir Richard wollte ihn an seiner Seite haben? Gegen einen alten Paladin war nichts einzuwenden. Vielleicht würde er an dessen Seite auch irgendwann wieder schmerzfrei laufen können. „I… Ich habe keine Einwände … Herr.“
Richard grinste erneut, was wohl daran lag, dass Thorvid ihn gleich als seinen Herrn annahm. „Sehr gut“, stimmte der Paladin zu. „Dann hoffe ich, Euer Geist ist in besserer Form als Euer Körper.“
„Ich hoffe, dass beides irgendwann in angemessener Verfassung sein wird“, erwiderte Thorvid, da er sich im Klaren darüber war, dass er ansonsten am Wall nicht lange überleben würde, sollte dort etwas geschehen.
Richard lachte, wobei Thorvid wieder einmal auffiel, dass dabei der ganze Körper des Bewahrers zu beben schien, was ihm selbst ein Lächeln entlockte.
„Das ist der Plan“, fuhr Richard fort. „Aber als zukünftiger Bewahrer wird es Euer Geist sein, der gefordert ist.“
„Wenn Ihr denkt, dass das mein Weg sein könnte“, sagte Thorvid. „Meine Stellung in Delyveih war zuvor eine … etwas andere.“
Richard musterte ihn erneut. „Ja?“, fragte er dann. „Was war Eure Stellung?“
Thorvid zögerte mit seiner Antwort. Er wusste nicht, wie viel er von Delyveih preisgeben sollte, allerdings hatte er auch keinen Grund, es vor seinem neuen Herrn geheimzuhalten. Einige Andeutungen hatte er ohnehin schon gemacht. „Ich war weniger der Prinz, der in der Öffentlichkeit stand, ich war … mehr der Kammerdiener, der … für saubere Zimmer sorgte.“
Das in Kombination mit dem, was er dem Paladin bereits erzählt hatte, würde wohl das Bild des Prinzen erweitern.
„Also doch ein Bewahrer“, entgegnete Richard und zupfte noch einmal an seinem Bart.
Ja, Thorvid hatte gehört, dass auch Bewahrer den Dreck wegschafften, wenn es erforderlich war. Dass sie es oft waren, die einen Thron neu besetzten, wenn es sein musste, allerdings gab es für Thorvid einen gravierenden Unterschied. „Ich arbeitete allerdings allein“, fügte der Prinz hinzu. „Im Orden scheint das nicht immer der Fall zu sein. Deswegen bin ich hier. Ich denke nicht, dass ich das Kommende alleine schaffen werde.“
„Hier werdet Ihr alle Unterstützung finden, die ihr benötigt“, versicherte ihm Richard. „Was genau habt Ihr vor?“
„Ich muss einen Herzog loswerden“, gab Thorvid trocken zu und verfinsterte seinen Blick.
„Einen Herzog?“, wiederholte Richard überrascht. „Nun, ich hoffe, es gibt einen guten Grund dazu. Der Orden ist schließlich nicht dazu da, Konkurrenten um die Krone Eures Vaters auszuschalten!“
Thorvid lachte leise. „Nein, es ist kein Konkurrent, ganz im Gegenteil. Und ja, es gibt einen Grund. Er ist der zukünftige Ehemann meiner Schwester. Allerdings sterben alle seine Frauen oder verschwinden. Die letzte Ehefrau wurde vor ein paar Wochen öffentlich hingerichtet. Eine junge Frau im Alter von fünfzehn Jahren. Angeblich habe sie den Herzog betrogen, aber … wenn es stimmt, was leise Stimmen flüstern, kann man es ihr wohl kaum nachtragen.“ Thorvid atmete tief durch. „Irgendetwas stimmt dort nicht. Ich habe nicht vor, etwas Unrechtes zu tun. Es könnte meinen Vater vielmehr die Krone kosten, wenn Heinrich von Kosse verschwindet. Deswegen könnt Ihr Euch vorstellen, dass mein Rückhalt in Delyveih etwas zu wünschen übrig lässt.“
„Verstehe …“, sagte Richard nachdenklich. „Dann sorgen wir erst einmal dafür, dass Ihr Eure Tätowierung erhaltet. Und dann kümmern wir uns um Euren Herzog.“
Thorvid nickte. „Danke … Herr.“ Seine Worte waren ehrlich. Ohne den Orden hätte er nicht gewusst, was er tun sollte, außer, den Herzog einfach zu töten. Allerdings ahnte er, dass das nicht die beste Idee war. Es musste einen anderen Weg geben. Einen, der seinen Vater nicht noch die Krone kosten würde, nur weil der noch fehlende Fürsprecher starb. Er musste sich in Geduld üben und hoffen, dass in der Zwischenzeit die Götter über seine Schwester wachten.
PJ Lehmann - 08:14:16 | 1 Kommentar
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Grace / Marietta
Und wieder ein kurzer, aber treffender und aufschlussreicher Blick in Thorvids Kopf bzw Vergangenheit. Er hat tatsächlich viel erlebt, um zu dem zu reifen, was er in WdG ist. Das denkt man gar nicht, wenn man weiß, dass er als Prinz geboren ist und auch noch mit einer außergewöhnlichen Gabe. Er wurde auf der Burg seines Vaters aber doch anders wahrgenommen, als für Prinzen üblich. Auch das macht viel mit der Seele eines Kindes, das er da ja nicht wahr. Faszinierend wie der Schutz der Schwester ihn antreibt. Bin gespannt, wie sein weiterer Weg ausschaut.
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